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Auf der Seite Vorabentscheidungsanträge an den EuGH werden jene Vorabentscheidungsersuchen angezeigt, über die der Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht entschieden hat.

29.6.2023 Europäisches Schnellwarnsystem RAPEX: Besteht für Wirtschaftsakteure ein Recht auf Vervollständigung einer RAPEX-Meldung und welche Behörde ist bzw. wäre dafür zuständig?

Ro 2021/01/0014 (EU 2021/0004) vom 29. Juni 2023, C-626/21

Die Landespolizeidirektion Wien (LPD) führte bei einem Händler für Feuerwerke eine Marktüberwachung nach dem Pyrotechnikgesetz 2010 durch. Dabei stellte die LPD fest, dass mehrere Feuerwerksprodukte (pyrotechnische Gegenstände) nicht sicher waren und sprach gegenüber dem Händler ein Verkaufsverbot für diese Produkte aus. Die LPD ordnete weiters einen Rückruf der Produkte an.

In weiterer Folge erstattete die LPD eine RAPEX-Meldung an die Europäische Kommission. Bei RAPEX (Rapid Exchange of Information System) handelt es sich um ein europäisches Schnellwarnsystem zum raschen Informationsaustausch über gefährliche Produkte am Verbrauchermarkt.

Der - vom Händler zu unterscheidende - Importeur der Feuerwerksprodukte erachtete die RAPEX-Meldung als unvollständig und beantragte bei der LPD die Vervollständigung der RAPEX‑Meldung sowie Akteneinsicht.

Die LPD sowie auch - nach einer Beschwerde - das Verwaltungsgericht Wien wiesen die Anträge des Importeurs als unzulässig zurück. Beide gingen davon aus, dass dem Importeur im RAPEX-Meldeverfahren weder im österreichischen Recht noch in den betreffenden unionsrechtlichen Bestimmungen ein Antragsrecht auf Vervollständigung einer RAPEX-Meldung (oder auf Akteneinsicht in das Meldeverfahren) eingeräumt sei.

Nachdem der Importeur eine Revision an den VwGH erhob, stellt sich auch für den Gerichtshof die Frage, ob sich unmittelbar aus den unionsrechtlichen Bestimmungen, die das RAPEX-Verfahren regeln, für einen von einer RAPEX-Meldung betroffenen Wirtschaftsakteur (hier ein Importeur) ein Antragsrecht auf Vervollständigung dieser Meldung ergibt (1. Vorlagefrage).

Damit im Zusammenhang stehend stellt sich weiters die Frage, ob die Europäische Kommission oder die nationalen Behörden zur Entscheidung über einen solchen Antrag zuständig sind (2. und 3. Vorlagefrage).

Sollten die nationalen Behörden zur Behandlung eines Antrags auf Vervollständigung einer RAPEX-Meldung zuständig sein, stellt sich schließlich die Frage, ob der gerichtliche Rechtsschutz ausreichend ist, wenn er nur dem von der Maßnahme betroffenen Wirtschaftsakteur, hier nur dem Händler und nicht dem Importeur, gegen die von der Behörde getroffene Maßnahme gewährt wird (4. Vorlagefrage).

Die Vorlagefragen im Wortlaut:

Sind

- die Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 765/2008, ABl. L 218 vom 13.8.2008, 30, und die Verordnung (EG) Nr. 596/2009, ABl. L 188 vom 18.7.2009, 14, geänderten Fassung (Produktsicherheitsrichtlinie), insbesondere deren Art. 12 und Anhang II,

- die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates, ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30 (Marktüberwachungsverordnung), insbesondere deren Art. 20 und 22, sowie

- der Durchführungsbeschluss (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. November 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustausch „RAPEX“ gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit und für das dazugehörige Meldesystem, ABl. L 73 vom 15.3.2019, S. 121 (RAPEX-Leitlinien), dahin auszulegen, dass

1. sich unmittelbar aus diesen Vorschriften das Recht eines Wirtschaftsakteurs auf Vervollständigung einer RAPEX Meldung ergibt?

2. für die Entscheidung über einen solchen Antrag die Europäische Kommission (Kommission) zuständig ist?

oder

3. für die Entscheidung über einen solchen Antrag die Behörde des jeweiligen Mitgliedstaates zuständig ist?

(Bei Bejahung der Frage 3.)

4. der (nationale) gerichtliche Rechtsschutz gegen eine solche Entscheidung ausreichend ist, wenn er nicht jedem, sondern nur dem von der (obligatorischen) Maßnahme betroffenen Wirtschaftsakteur gegen die von der Behörde getroffene (obligatorische) Maßnahme gewährt wird?

Volltext des Beschlusses

Mit seinem Urteil vom 17. Mai 2023, C-626/21, antwortete der EuGH auf die Vorlagefragen wie folgt:

"1. Die Art. 20 und 22 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates, Art. 12 und Anhang II der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit in der durch die Verordnung Nr. 765/2008 geänderten Fassung sowie der Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) 2019/417 der Kommission vom 8. November 2018 zur Festlegung von Leitlinien für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Systems zum raschen Informationsaustausch „RAPEX“ gemäß Artikel 12 der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit und für das dazugehörige Meldesystem sind dahin auszulegen,

dass sie einem Wirtschaftsakteur, dessen Interessen durch eine von einem Mitgliedstaat an die Kommission nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstattete Meldung beeinträchtigt werden könnten, wie etwa einem Einführer der in dieser Meldung genannten Produkte, das Recht verleihen, von den zuständigen Behörden des meldenden Mitgliedstaats die Vervollständigung dieser Meldung zu verlangen.

2. Die Art. 20 und 22 der Verordnung Nr. 765/2008, Art. 12 und Anhang II der Richtlinie 2001/95 in der durch Verordnung Nr. 765/2008 geänderten Fassung sowie der Anhang des Durchführungsbeschlusses 2019/417 sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,

dass einem Wirtschaftsakteur wie einem Einführer der in einer nach Art. 22 der Verordnung Nr. 765/2008 erstatteten Meldung genannten Produkte, der nicht Adressat der dieser Meldung zugrunde liegenden Maßnahme ist und dessen Interessen durch die Unvollständigkeit dieser Meldung beeinträchtigt werden könnten, im meldenden Mitgliedstaat ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um zu erreichen, dass die diesem Mitgliedstaat insoweit obliegenden Verpflichtungen eingehalten werden."

Unter Beachtung der Entscheidung des EuGH führte der VwGH aus, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen hatte, dass für den Antrag des Importeurs auf Vervollständigung der gegenständlichen RAPEX-Meldungen keine Rechtsgrundlage bestehe. Wie der EuGH im Urteil Funke klargestellt hat, ergibt sich diese unmittelbar aus den vom EuGH angeführten Vorschriften des Unionsrechts.

Der VwGH hob daher die angefochtene Entscheidung mit Erkenntnis vom 29. Juni 2023, Ro 2021/01/0014, auf.