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Zu einem negativen Kompetenzkonflikt bei Enteignungen zum Bau einer Eisenbahnstrecke. Die Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten kann durch Verlangen der Partei nicht geändert werden

Ko 2023/03/0002 vom 20. Dezember 2023

Im Ausgangsfall enteignete die Landeshauptfrau von Niederösterreich mit zwei Bescheiden den Eigentümer (Betroffenen) zweier Grundstücke und übertrug das Eigentum an den Grundstücken auf die ÖBB zum Bau einer Hochleistungseisenbahnstrecke. Gleichzeitig sprach die Landeshauptfrau dem Betroffenen eine Entschädigung zu. Gesetzliche Grundlage waren das Bundesgesetz über Eisenbahn-Hochleistungsstrecken (Hochleistungsstreckengesetz) und das Eisenbahnenteignungsentschädigungsgesetz.

Der Betroffene erhob gegen seine Enteignung Beschwerde, die er bei der Landeshauptfrau von Niederösterreich als bescheiderlassende Behörde einbrachte. Dabei vertrat er die Meinung, das Bundesverwaltungsgericht sei zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig. Sollte die Beschwerde dennoch dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorgelegt werden, verlange er die Weiterleitung an das Bundesverwaltungsgericht.

Die Landeshauptfrau von Niederösterreich legt die Beschwerde dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vor.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich trat die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ab und stellte anschließend das Verfahren mit Beschluss ein. Das Gericht ging im Wesentlichen davon aus, dass dem Verlangen des Betroffenen, die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen, nachzukommen sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob dieses Verlangen Aussicht auf Erfolg habe.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die nunmehr bei ihm eingelangte Beschwerde wegen Unzuständigkeit zurück. Nach Ansicht des Gerichts seien die Enteignungsbescheide im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung ergangen, weshalb das Landesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig sei.

Weder gegen den Einstellungsbeschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich noch gegen den Zurückweisungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts wurde eine Revision erhoben.

In weiterer Folge stellte die Landeshauptfrau von Niederösterreich beim VwGH einen Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts, weil beide Verwaltungsgericht ihre Zuständigkeit abgelehnt hätten.

Zunächst prüfte der VwGH die Voraussetzungen für die Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt.

Die Landeshauptfrau von Niederösterreich als belangte Behörde und damit als Partei vor den Verwaltungsgerichten war berechtigt, einen Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts zu stellen.

Als weitere Voraussetzung müssen zwei Verwaltungsgerichte in derselben Sache ihre Zuständigkeit verneint haben. Unstrittig hatte das Bundesverwaltungsgericht seine Zuständigkeit abgelehnt. Der VwGH betonte, dass auch der Einstellungsbeschluss des Landeverwaltungsgerichts nach der Weiterleitung an das Bundesverwaltungsgericht einer förmlichen Ablehnung seiner Zuständigkeit gleichkomme, weshalb auch diese Voraussetzung vorlag.

In der Sache führte der VwGH aus, dass das Bundesverwaltungsgericht nur über Beschwerden in Rechtssachen der unmittelbaren Bundesverwaltung entscheidet. Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung werden von den Landesverwaltungsgerichten entschieden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Landeshauptfrau oder - so die Behauptung des Betroffenen - eigentlich die Bundesministerin über die Enteignung zu entscheiden gehabt hätte. Maßgeblich für die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte sei nur, wer tatsächlich in erster Instanz entschieden hat. Eine etwaige Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Behörde haben die Verwaltungsgerichte jedoch im Beschwerdeverfahren aufzugreifen.

Die Enteignung für den Bau einer Hochleistungseisenbahnstrecke zählt zum Kompetenztatbestand "Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen" nach Art. 10 Abs. 1 Z 9 B‑VG, so der VwGH weiter. Zwar handelt es sich beim "Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen" nach Art. 102 Abs. 2 B‑VG um eine Angelegenheit, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden könnte (unmittelbare Bundesverwaltung). Gemäß Art. 102 Abs. 3 B-VG kann die Vollziehung einzelner Bereiche jedoch dem Landeshauptmann bzw. der Landeshauptfrau übertragen werden (mittelbare Bundesverwaltung), was hier der Fall war.

Die Erlassung der Enteignungsbescheide durch die Landeshauptfrau erfolgte somit in mittelbarer Bundesverwaltung, weshalb das Landesverwaltungsgericht zuständig ist.

Im Übrigen stellt der VwGH klar, dass die Behörden und Verwaltungsgerichte ihre Zuständigkeit von selbst wahrzunehmen haben. Dabei richtet sich die Zuständigkeit nach dem AVG bzw. dem VwGVG. Weder durch Verlangen noch durch Vereinbarung der Parteien kann dabei die Zuständigkeit begründet oder verändert werden. Das Recht auf Entscheidung durch die zuständige Behörde bzw. das zuständige Verwaltungsgericht ist unverzichtbar.

Der VwGH sprach somit aus, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Entscheidung über die Beschwerden gegen die Enteignungsbescheide zuständig ist, auch wenn der Betroffene seine Zuständigkeit bestritten hat. Er hob den Einstellungsbeschluss des Landesverwaltungsgericht auf.

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Volltext der Entscheidung