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Ärztegesetz: Zur Disziplinarstrafe eines Arztes aufgrund eines impfkritischen Gutachtens

Ra 2022/09/0122 vom 22. März 2023

Der vorliegende Fall betrifft ein Disziplinarverfahren gegen einen Arzt. Dem Arzt wurde vom Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer vorgeworfen, er habe im Zuge eines Pflegschaftsverfahrens vor einem Zivilgericht eine "medizinisch-wissenschaftliche Stellungnahme" abgegeben, die nicht den Anforderungen für ärztliche Zeugnisse nach dem Ärztegesetz entsprochen habe. Darin führe er nämlich bezogen auf ein 9-jähriges Kind im Wesentlichen aus, dass eine Impfung gegen Covid-19 eine Gefahr für Leben und Gesundheit des Kindes darstellte, Kinder ohnehin ein vernachlässigbares Risiko durch eine Covid-19-Erkankung hätten und eine Impfung die Immunität der geimpften Personen vielmehr negativ beeinflusse. Vor Erstattung der Stellungnahme habe der Arzt das Kind selbst nicht untersucht. Aus Sicht des Disziplinarrats habe der Arzt mit dieser Stellungnahme gegen seine Berufspflichten (hier § 49 und § 55 Ärztegesetz) verstoßen und verhängte über ihn eine bedingt nachgesehene Geldstrafe.

Der Arzt erhob gegen die Disziplinarstrafe eine Beschwerde an das zuständige Verwaltungsgericht.

Das Verwaltungsgericht hob die Strafe auf und sprach den Arzt (nach dem Ärztegesetz) frei. Es ging davon aus, dass es sich bei der Stellungnahme um ein ärztliches Gutachten, jedoch nicht um ein ärztliches Zeugnis im Sinne des § 55 Ärztegesetz handle. Die darin vorgesehenen Anforderungen würden somit nicht für die Stellungnahme gelten. Insbesondere sei daher auch keine gewissenhafte Untersuchung vor der Erstattung der Stellungnahme nötig (gewesen). Darüber hinaus sei die Stellungnahme einerseits von der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK geschützt. Es handle sich nämlich bei der Stellungnahme um ein bloßes auf ausreichenden Tatsachengrundlagen basierendes Werturteil, das nicht exzessiv sei und als solches auch nicht richtig oder falsch sein könne. Und andererseits sei die Stellungnahme als wissenschaftliche Studie auch von der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 17 Abs. 1 StGG geschützt. Beides stünde einer Disziplinarstrafe entgegen, so das Verwaltungsgericht, weshalb der Arzt freizusprechen gewesen sei.

Der Disziplinaranwalt der Österreichischen Ärztekammer erhob gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Revision.

Der VwGH behandelte die Revision und verwies zunächst auf seine bisher ergangene Rechtsprechung zu ärztlichen Zeugnissen nach § 55 Ärztegesetz (Ro 2020/09/0016 vom 22. September 2021). Er stellte darin klar, dass auch ärztliche Gutachten von § 55 Ärztegesetz umfasst sind und daher nur nach gewissenhafter ärztlicher Untersuchung und nach genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach besten Wissen und Gewissen ausgestellt werden dürfen. Im vorliegenden Fall hatte der Arzt bereits deshalb gegen seine Berufspflichten verstoßen, weil er das betreffende Kind vor Erstattung seiner Stellungnahme nicht gewissenhaft untersucht hatte. Auf die Frage, ob die Stellungnahme letztlich richtig war, kommt es dabei nicht mehr an.

Ferner verwarf der VwGH das Argument des Verwaltungsgerichts, die Stellungnahme sei von der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK und der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 17 Abs. 1 StGG geschützt.

Dazu hielt er fest, dass gemäß § 49 Abs. 1 Ärztegesetz ein Arzt verpflichtet ist, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen und nach "Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards […] das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren". Mit dieser Bestimmung schützt das Ärztegesetz den einzelnen Patienten vor einer Beratung oder Behandlung, die nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft (lege artis) entspricht. Die Stellungnahme sollte daher der Gesundheit des Kindes dienen. Sie war jedoch kein – von der Meinungsfreiheit geschützter – Beitrag zum öffentlichen Diskurs noch Teil der wissenschaftlichen Forschung oder Lehre.

Darüber hinaus darf ein Verwaltungsgericht (hier medizinische) Fachfragen nur dann selbst beurteilen, wenn der entsprechende Richter selbst über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen auf gleichem Niveau verfügt. Das Gericht hat andernfalls einen Sachverständigen zu bestellen.

Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung auf.


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Volltext der Entscheidung