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Anerkannte Umweltorganisation müssen kein Rechtsschutzinteresse nachweisen

Ra 2020/10/0101 vom 28. März 2022

Im vorliegenden Fall beantragte ein Waldbesitzer die Fällung mehrerer Zirbenbäume in seinem Wald, einem Schutzwald, der in der Außenzone des Nationalparks Hohe Tauern liegt. Beim Nationalpark Hohe Tauern handelt es sich um ein Natura 2000-Gebiet. Die betroffene Grundfläche liegt in einem "Alpinen Lärchen- und/oder Zirbenwald" im Sinne der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft (BH) bewilligte die Fällung der Zirben im August 2014. Der Waldeigentümer fällte diese Bäume jedoch nicht und beantragte die Fällung anderer Bäume im selben Wald, die mit einem weiteren Bescheid der BH im August 2016 bewilligt wurde.

Im Zeitraum von Ende August bis Anfang Oktober 2016 fällte der Waldeigentümer schließlich die Bäume, entsprechend der Bewilligung vom August 2016. Mitte Oktober 2016, somit nachdem der Waldbesitzer die Zirben bereits gefällt hatte, erhob eine - nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 anerkannte - Umweltorganisation eine Beschwerde gegen die Bescheide vom August 2014 und August 2016.

Das zuständige Landesverwaltungsgericht (LVwG) wies die Beschwerde der Umweltorganisation als unzulässig zurück. Das LVwG ging davon aus, dass für die Umweltorganisation kein Rechtsschutzinteresse mehr bestehe, weil einerseits der Bescheid vom August 2014 mit dem zweiten Bescheid vom August 2016 abgeändert worden und somit nicht mehr relevant sei und andererseits hinsichtlich des Bescheids vom August 2016 der Waldbesitzer die Bäume bereits vor Einbringung der Beschwerde gefällt hatte. Auch die Umweltorganisation als "Formalpartei" müsse ein Rechtsschutzinteresse an der Beseitigung des Bescheids haben, so das LVwG weiter und verwies dabei auch auf Rechtsprechung des VwGH. Die Fällungen seien nicht mehr rückabwickelbar, sodass auch die Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen die Fällung auf das Schutzgebiet gehabt hätte, nur mehr theoretische Bedeutung besäße. Somit habe bereits zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde kein Rechtsschutzinteresse der Umweltorganisation bestanden, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen gewesen sei.

Die Umweltorganisation erhob dagegen Revision an den VwGH.

Der VwGH setzte sich mit der besonderen Stellung von anerkannten Umweltorganisationen bei der Wahrnehmung des nach der Aarhus-Konvention gewährleisteten Rechtsschutzes auseinander.

Dazu hielt der VwGH zunächst fest, dass in jenen Verfahren, welche die Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte zum Gegenstand haben, das Rechtsschutzinteresse eine Prozessvoraussetzung darstellt. Im Falle einer Bescheidbeschwerde liegt das Interesse an der Beseitigung des Bescheides. Ein solches Interesse liegt in der Regel jedoch dann nicht mehr vor, wenn es keinen Unterschied macht, ob der Bescheid weiterhin aufrecht bleibt oder aufgehoben wird.

Im vorliegenden Fall stützt sich die Beschwerdelegitimation der Umweltorganisation auf deren Rolle bei der Überprüfung der Einhaltung von unionsrechtlichem Umweltrecht (siehe dazu auch Ro 2018/10/0010 vom 20. Dezember 2019 mit Verweis auf Rechtsprechung des EuGH zur RS Protect). Die Umweltorganisation hat daher jene Interessen zu vertreten, die sich aus den unionsrechtlichen Umweltschutzvorschriften ergeben.

Dazu hielt der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Umweltverträglichkeitsprüfung bereits fest, dass die Mitgliedsstaaten die Rechtsschutzmöglichkeit einzelner Personen zwar auf die Wahrnehmung subjektiver Rechte beschränken können. Eine solche Beschränkung könne jedoch nicht auch auf Umweltverbände angewendet werden, weil dadurch die Ziele der UVP-RL, welche einen Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht für "Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit" vorsehen, missachtet würden. Umweltverbände müssten daher zwingend jene nationalen Rechtsvorschriften, welche die unionsrechtlichen Umweltvorschriften umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren unionsrechtlichen Umweltvorschriften geltend machen können. Nach Rechtsprechung des VwGH bezieht sich diese Rechtsprechung des EuGH "allgemein auf die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt" (siehe Ra 2016/04/0117 vom 21. Dezember 2016).

Im vorliegenden Fall durfte daher die Beschwerdelegitimation der Umweltorganisation bei der Geltendmachung von unionsrechtlichen Umweltvorschriften nicht aufgrund eines fehlenden Rechtsschutzinteresses eingeschränkt werden. Die Umweltorganisation kann unabhängig von der Frage der Verletzung von subjektiven Rechten Verstöße gegen unionsrechtliche Umweltvorschriften geltend machen. Insofern unterscheiden sich anerkannte Umweltorganisationen von sonstigen Formalparteien, deren Beschwerdelegitimation ebenfalls nicht an subjektive Rechte geknüpft ist, die aber nach der Rechtsprechung des VwGH ein Rechtsschutzinteresse aufweisen müssen.

Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung auf.

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