Navigation
Inhalt
UG: Prüfungsbögen, auf denen die richtigen Antworten erkennbar sind, bewirken die absolute Nichtigkeit der Prüfung
Ro 2020/10/0025 vom 20. August 2021
Im vorliegenden Fall trat im Februar 2019 eine Studentin an der Universität Salzburg zur schriftlichen Prüfung "Europarecht" an. Aufgrund eines Versehens waren auf manchen Prüfungsbögen die richtigen von den falschen Antworten unterscheidbar. Die Prüfer gaben im Anschluss bekannt, dass die Prüfungen mit Zustimmung des Vizerektors für Lehre und Studium (als belangte Behörde) annulliert würden und keine Prüfungsergebnisse freigegeben oder eingetragen werden würden. Der Prüfungsantritt zähle für niemanden.
Die Studentin beantragte, die Beurteilungsunterlagen sowie das Prüfungsprotokoll der Prüfung "Europarecht" zu beschaffen und ihren Antritt zu beurteilen, zu beurkunden und zu beglaubigen; sie behauptete, auf ihrem Prüfungsbogen sei der Fehler nicht vorgelegen.
Der Vizerektor wies diesen Antrag ab und sprach aus, dass für die Prüfung "Europarecht" kein Zeugnis ausgestellt werde.
Eine von der Studentin dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) abgewiesen. Das BVwG ging davon aus, dass Prüfungen, auf denen die richtigen Antworten erkennbar seien, absolut nichtig seien. Weil dies auf einen "nicht zu vernachlässigbaren Teil" der Prüfungen zutreffe, seien alle Prüfungen absolut nichtig.
Die Studentin erhob gegen die Entscheidung des BVwG eine Revision.
Der VwGH setzte sich mit den rechtlichen Konsequenzen von fehlerhaften Prüfungen nach dem Universitätsgesetz 2002 (UG) auseinander.
Zunächst führte er aus, dass Studierenden nach dem UG u.a. die subjektiven Rechte eingeräumt sind, Prüfungen abzulegen und beurteilt zu bekommen, Zeugnisse ausgestellt zu bekommen oder aber auch Einsicht in Prüfungsunterlagen oder Prüfungsprotokolle zu nehmen.
Der VwGH verwies weiters auf seine Rechtsprechung, wonach es sich bei Verkündung eines Prüfungsergebnisses nicht um einen Bescheid sondern um ein Gutachten handelt, weshalb auch eine inhaltliche Prüfung des Prüfungsergebnisses durch die Behörden oder Verwaltungsgerichte nicht möglich ist. Es kann nur überprüft werden, ob das Prüfungsergebnis auf eine rechtmäßige Weise zustande gekommen ist. Auch wenn es sich bei Prüfungen um keine Bescheide handelt, weisen sie dennoch eine bestimmte Bestandskraft auf, die sich insbesondere darin zeigt, dass das Prüfungsergebnis nicht ohne Weiteres durch den Prüfer abgeändert werden kann.
Danach führte der VwGH aus:
Mängel beim Ablegen von Prüfungen lassen sich im Sinne eines "dreigliedrigen Fehlerkalküls" einteilen.
Demnach gibt es erstens jene (leichte) Mängel, die rechtlich irrelevant sind und somit eine Beurteilung der Prüfung erlauben und nicht zur Anfechtung bzw. Nichterklärung oder Aufhebung berechtigen.
Zweitens gelten als schwere Mängel etwa das Erschleichen einer Prüfungsanmeldung oder Prüfungsbeurteilung ("Schummeln"), welche die bescheidmäßige Nichtigerklärung der Beurteilung nach sich ziehen. Sonstige schwere Mängel, die zur bescheidmäßigen Aufhebung einer negativ beurteilten Prüfung führen, liegen etwa vor, wenn ein prüfungsunfähiger Kandidat beurteilt wird, ein Teil des Prüfersenats nicht durchgehend anwesend ist oder es zu relevanten Verfahrensfehlern kommt (bspw. zu wenig Prüfungszeit).
Schließlich gibt es, drittens, derart gravierende Mängel, dass nicht mehr von einer "Prüfung" im Sinne des UG gesprochen werden kann. Mit einem solchen Mangel belastete Prüfungen sind absolut nichtig. Es handelt sich beispielsweise um Prüfungen, die von einer nichtberechtigten Person abgenommen wurden oder durch einen anderen Kandidaten absolviert werden. Diese Prüfungen sind rechtlich nicht existent und bedürfen daher auch keiner Anfechtung oder Beseitigung.
Für den vorliegenden Revisionsfall - so der VwGH weiter - bedeutete dies, dass eine Prüfung, auf der die richtigen Antworten erkennbar sind, absolut nichtig ist, weil eine solche Prüfung keine taugliche Grundlage zur Überprüfung des Wissensstands und daher keine valide Beurteilung des Studienerfolgs darstellt.
Im konkreten Fall hatte sich das BVwG jedoch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob dieser Mangel auch am Prüfungsbogen der Revisionswerberin aufgetreten war, weshalb der VwGH die Entscheidung des BVwG aufhob.