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Zur Dienstpflichtverletzung durch Verwaltungsrichter wegen qualifizierter Untätigkeit

Ro 2020/09/0014 vom 2. November 2020

Im vorliegenden Disziplinarverfahren wurden einem Richter eines Verwaltungsgerichtes Säumnisse bei der Behandlung von Fristsetzungsanträgen in acht Verfahren vorgeworfen.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als Disziplinargericht erkannte den Richter schuldig seine Dienstpflichten dadurch verletzt zu haben, indem er in sechs Verfahren eingebrachte Fristsetzungsanträge verspätet dem VwGH vorgelegt und den vom VwGH erteilten Aufträgen zur Erledigung nicht oder nicht in der vom VwGH gesetzten Frist nachgekommen sei und sprach eine Strafe in der Höhe von einem Monatsgehalt aus. Hinsichtlich der Säumnisse in den zwei übrigen Verfahren sprach das Gericht den Richter frei.

Der von der Disziplinaranwältin gegen den Freispruch und Ausspruch zur Strafhöhe erhobenen Revision hat der VwGH mit Erkenntnis vom 2. November 2020 Folge gegeben und das erstinstanzliche Erkenntnis in diesem Umfang wegen Feststellungs- und Begründungsmängeln aufgehoben.

In der Begründung dieser Entscheidung hat der VwGH darauf hingewiesen, dass die verfassungsrechtliche Garantie der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter in Ausübung ihres richterlichen Amtes der Absicherung vor möglicher Einflussnahme in die Rechtsprechung dient. Sie findet ihre Grenzen in der ordnungsgemäßen Erfüllung der richterlichen Dienstpflichten und setzt damit auch voraus, dass Richter und Richterinnen im Rahmen der ihnen gewährten Unabhängigkeit beim Einsatz ihrer persönlichen Ressourcen eine Erledigung der ihnen durch die Geschäftsverteilung zugewiesenen Rechtssachen in angemessener Frist erreichen sollten. Es ist der richterlichen Professionalität und Eigenverantwortung immanent, den fallbezogen notwendigen Einsatz zur Erledigung der jeweiligen Rechtssachen eigenständig möglichst effizient und strukturiert dafür aufzuwenden. Eine weitere Sicherstellung der richterlichen Unabhängigkeit und Unterstützung für eine zügige Behandlung und Erledigung der zugewiesenen Rechtssachen durch den/die Richter/in liegt darin, dass die Festlegung der Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichts im Rahmen der Kompetenz der kollegialen (und damit der justiziellen Tätigkeit zuzurechnenden) Justizverwaltung erfolgt und die Abnahme von bereits anhängigen Rechtssachen nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen möglich ist; dabei ist als vorausgesetzt anzunehmen, dass durch die Geschäftsverteilung eine möglichst gleichmäßige Auslastung aller Richter und Richterinnen erfolgt bzw. angestrebt und bei wesentlichen Auslastungsverschiebungen zeitgerecht anzupassen versucht wird.

Daneben obliegt es dem/der Präsidenten/Präsidentin als gerichtsintern höchstes Leitungsorgan der monokratischen Justizverwaltung im Rahmen der Organisationsverantwortung und Fürsorgepflicht des Dienstgebers die sonstigen Unterstützungen der Richter und Richterinnen für die Ausübung ihrer Tätigkeiten (wie zur Verfügungstellung von ausreichenden Sach- und anderen Personalressourcen) sicherzustellen und im Bedarfsfall punktuell zu konzentrieren. Diese zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Gerichtsbetriebs flankierenden Reaktionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung auf unterschiedliche Rahmenbedingungen setzen naturgemäß das Vorhandensein ausreichender Ressourcen voraus.

Dieses komplexe Gefüge von (Mit-)Verantwortlichkeiten für die rückstandsfreie Führung einer Gerichtsabteilung bzw. des ganzen Gerichtsbetriebs schließt auch den (jeweiligen) Gesetzgeber im Sinne einer Zurverfügungstellung ausreichender Ressourcen für die Erfüllung der justiziellen Staatsaufgaben innerhalb angemessener Zeit ein.

Im Weiteren legte der VwGH, unter Verweis auf Rechtsprechung des OGH, Kriterien hinsichtlich der für die Prüfung von inkriminierten Rückständen und Verzögerungen notwendigen Verfahrensschritten dar. Demnach sind die Ursachen hiefür zu ermitteln und Feststellungen zu Umfang und Komplexität der einzelnen Rechtsfälle zu treffen und es ist ein Quervergleich der betroffenen Gerichtsabteilung zu vergleichbaren Gerichtsabteilungen bezüglich Aktenanfall, zu den Erledigungszahlen und zur Erledigungsdauer innerhalb eines angemessenen Beobachtungszeitraumes vorzunehmen; auf deren Grundlage ist dann zu beurteilen, ob dem/der einzelnen Richter/in die Unterlassung eines rascheren und zielorientierteren Verhaltens vorwerfbar ist. Besonders beim Vorwurf punktueller Verzögerungen ist im Hinblick auf die strukturelle Unabhängigkeit des/der Richters/Richterin beim Ablauf und Ansetzen der Amtsgeschäfte zu prüfen, ob seine/ihre Gesamtauslastung derart hoch war, dass der Verpflichtung einer Erledigung des bzw. der inkriminierten Verfahren in angemessener Zeit nicht entsprochen werden konnte. Dasselbe gilt umso mehr für die vordringliche Vorlage von Fristsetzungsanträgen, die in der Regel keinen großen Arbeitsaufwand darstellt, bzw. der fristgerechten Entsprechung von diesbezüglichen Erledigungsaufträgen des Verwaltungsgerichtshofes. Selbst die generelle Überlastung eines Gerichts entbindet den/die Richter/in nicht von der Verpflichtung seine/ihre vorhandenen Ressourcen prioritätenbezogen einzusetzen. Dies gilt im letzten Fall aber auch besonders für die monokratische und kollegiale Justizverwaltung in Bezug auf deren Unterstützungsmöglichkeiten. Da im Gegensatz zur ordentlichen Gerichtsbarkeit kein überregionaler Ressourcenausgleich überlasteter Gerichte zum Tragen kommen kann, kommt bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit hier dem Bundes- bzw. Landesgesetzgeber eine gesteigerte Verantwortung der Zurverfügungstellung ausreichender Ressourcen zu.

Download: Volltext der Entscheidung