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03.07.2025 : Stellt § 188 InvFG 2011 eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar?
Ro 2022/13/0014 (EU 2023/0005) vom 20. September 2023, C-602/23
Der dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegende Fall betrifft eine in den USA ansässige Investmentgesellschaft, die als Teil eines amerikanischen "Trusts" wirtschaftliche Eigentümerin eines eigenständigen Teilvermögens ist. Die Investmentgesellschaft investiert vorwiegend in europäische börsenotierte Aktien und unterliegt in den USA einer Finanzmarktaufsicht.
Im Jahr 2013 wurden aufgrund von Portfoliobeteiligungen an zwei österreichischen börsenotierten Aktiengesellschaften Dividenden an die amerikanische Investmentgesellschaft ausgeschüttet. Die ausschüttenden Gesellschaften behielten die 25-%ige Kapitalertragsteuer als Quellensteuer ein und führten sie an das Finanzamt ab.
Die Investmentgesellschaft stellte zunächst im Namen ihrer Anteilinhaber einen Antrag auf Herabsetzung der Kapitalertragsteuer nach dem Doppelbesteuerungsabkommen. Das Finanzamt setze die Kapitalertragsteuer auf 15 % herab und erstattete den Differenzbetrag zur einbehaltenen KESt zurück.
In der Folge beantragte die Investmentgesellschaft die Rückerstattung der verbleibenden Quellensteuer gemäß § 21 Abs.1 Z 1a KStG 1988 im eigenen Namen. Sie vertrat die Ansicht, dass unter Berücksichtigung des Unionsrechts auch Rechtsträgern aus Drittstaaten die Möglichkeit zur Beantragung einer Rückzahlung von entrichteten Quellensteuern offenstehe.
Im zweiten Rechtsgang gewährte das Bundesfinanzgericht gemäß § 188 InvFG 2011 die Rückerstattung der Kapitalertragsteuer, weil die Investmentgesellschaft nach einem Typenvergleich einer österreichischen Körperschaft entspreche.
Gegen diese Entscheidung erhob das Finanzamt Revision.
Der VwGH stellte ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, das Fragen zum Vorliegen einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit, zur Vergleichbarkeit der Investmentgesellschaft mit einem inländischen "Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren" (OGAW) im Sinne der Richtlinie 2009/65/EG bzw. Gesellschaften, die keine OGAW darstellen, und zu möglichen Rechtfertigungsgründen bei Vorliegen einer Diskriminierung enthält.
Für den VwGH stellt sich die Frage, ob es eine unzulässige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit darstellt, wenn ausländische Investmentgesellschaften, die zwar einer inländischen Körperschaft vergleichbar sind, aber materiell einem inländischen Publikumsfonds entsprechen, der nur transparent ‑ d.h. nur auf Ebene der Anteilinhaber, nicht aber der Fondsgesellschaft ‑ besteuert wird, von der Rückerstattung der Kapitalertragsteuer ausgenommen werden.
Die Vorlagefragen im Wortlaut:
1. Stellt eine Bestimmung wie § 188 InvFG 2011, die bewirkt, dass ausländische Gebilde, die einer inländischen Körperschaft vergleichbar sind, in Österreich von der Rückerstattung der Kapitalertragsteuer ausgenommen werden, wenn sie materiell einem OGAW im Sinne der Richtlinie 2009/65/EG entsprechen und daher im Inland nicht als Körperschaft tätig sein dürften, weil für derartige Gebilde in Österreich nur die Rechtsform als transparentes Sondervermögen vorgesehen ist, eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV dar?
2. Wenn diese Frage bejaht wird: Liegt eine objektiv vergleichbare Situation zwischen einer inländischen Körperschaft, die ihr Vermögen nach den Grundsätzen der Risikostreuung anlegt, aber mangels beim Publikum beschaffter Gelder kein OGAW ist und deshalb auch im Inland als Körperschaft tätig sein darf, einerseits und einer ausländischen Investmentfondsgesellschaft, die wegen beim Publikum beschaffter Gelder nach inländischen Grundsätzen ein OGAW wäre und deshalb im Inland nicht als Körperschaft tätig sein dürfte, andererseits vor?
3. Wenn diese Frage bejaht wird: Liegt für die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit der Rechtfertigungsgrund der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse vor, weil die §§ 186 und 188 InvFG 2011 sicherstellen wollen, dass weder ein inländischer noch ein ausländischer Publikumsfonds in Bezug auf die Anteilinhaber eine steuerliche Abschirmwirkung entfalten kann und damit eine Entlastung der Kapitalertragsteuer nur in jenen Fällen auf Ebene der Anteilinhaber erfolgen soll, in denen Österreich in einem Doppelbesteuerungsabkommen auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat?
Volltext des Beschlusses
Mit Urteil vom 30. April 2025, C-602/23, hat der EuGH wie folgt geantwortet:
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die bewirkt, dass ein gebietsfremdes Gebilde, das einerseits die gleichen Merkmale aufweist wie ein Organismus zur gemeinsamen Veranlagung in Wertpapieren (OGAW) im Sinne der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), andererseits jedoch Rechtspersönlichkeit besitzt und insoweit mit einer gebietsansässigen juristischen Person vergleichbar ist, obwohl nach der nationalen Regelung ein gebietsansässiger OGAW steuerlich als transparent angesehen wird und nicht als juristische Person tätig werden kann, von der Erstattung der Kapitalertragsteuer ausgeschlossen wird, keine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt, sofern die von dem gebietsfremden Gebilde erzielten Einkünfte seinen Anteilinhabern zugerechnet werden und in seinem Sitzstaat nicht auf seiner Ebene, sondern auf Ebene seiner Anteilinhaber besteuert werden.
Der VwGH sprach nunmehr aus, den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts zufolge hat die Mitbeteiligte im Jahr 2013 keine US-Bundessteuern entrichtet. Weiters ist unstrittig, dass bei einer - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts im Jahr 2013 erfolgten - Vollausschüttung im Ergebnis nur die Anteilinhaber mit diesen Erträgen in den USA steuerpflichtig sind und dass die erhaltenen Dividenden aus österreichischer Sicht den Anteilinhabern der Mitbeteiligten zugerechnet wurden. Die Dividenden sind auch nicht höher besteuert worden als Dividenden an gebietsansässigen Investmentfonds. § 188 InvFG idF BGBl. I Nr. 77/2011 stellt im Revisionsfall vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH keinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit dar und ist damit uneingeschränkt anwendbar. Der VwGH hob die angefochtene Entscheidung daher mit Erkenntnis vom 28. Mai 2025, Ro 2022/13/0014 auf.